Als „Hirschgott“ oder „Geweihgott“ wird in der
Archäologie eine männliche Gestalt mit Hirschgeweih benannt, die
häufig in einer sitzenden, manchmal an den Lotussitz oder einen
meditierenden Buddha erinnernden Haltung dargestellt wurde. Oft
ist der Geweihgott bärtig dargestellt, manchmal als Jüngling,
meist aber als reifer Mann. Weitere Attribute sind ein Füllhorn
oder ein Torques (ein Art Ring) und eine oder mehrere Schlangen
(oftmals die sogenannte „Widderhornschlange“). Die bekannteste
Darstellung, die mit dem Geweihgott in Verbindung gebracht wird,
ist das Relief auf dem 1891 in Dänemark gefundenen Kessel von
Gundestrup, dessen Herkunft im östlichen Siedlungsgebiet der
Kelten verortet wird.
Der Mythos vom weißen Hirschen gehört wahrscheinlich zu den
ältesten Erzählungen der Menschheit. Weiße Hirsche sind mythische
Wesen mit weißem Fell und betörend blauen Augen, deren Ursprung
noch heute geheimnisumwittert ist. Weiße Hirschen werden auch als
„Wegweiser beziehungsweise als Führer in die Anderswelt“
betrachtet.
Der Mittagshirsch ist eine Geistererscheinung, die meist in der
Mittagszeit im August zu sehen ist. Der Mittagshirsch ist ein
weißer, majestätischer Hirsch. Meist verbirgt er sich im Dickicht,
aber in den heißen Mittagsstunden des Sommers tritt er manchmal
aus dem Wald heraus und steht dann lange und unbeweglich still,
weiß leuchtend vor der dunklen Blätterwand. Zwischen dem Geweih
trägt er eine goldene Scheibe, leuchtend wie die Sonne. Die heißen
Mittagsstunden des Sommers gehören ihm, da übt er seine Macht aus.
Doch woher hat der Mittagshirsch diese Macht? Nun, manche sagen er
sei ein Gott.
Bei seinem Erscheinen ist plötzlich alles ganz anders und
verändert. Für die Augen scheint es, als ob sich die ganze Welt in
Wellen auflösen würde. Die Vögel schweigen mit einem Schlag, und
sogar die frechen Grillen verhalten sich ängstlich, abwartend und
still.
Die Sprache der Landschaft verändert sich dann wirklich und
merklich spür- und fühlbar. Die Hitze wird flirrend,
herausfordernd, ja sogar drohend. Eine große Stille wirft sich von
obenher über die Landschaft. Man spürt, dass ein Mächtiger die
Herrschaft angetreten hat.
Diese Stille ist gespannt und voll Inhalt. Die Menschen lässt der
Mittagshirsch jedoch erschlaffen, trotzdem werden sie
unruhig und erregt. Sie steigen aus der Wirklichkeit heraus und
vermeinen Dinge wahrzunehmen, die sie sonst nicht sehen können.
Sie hören Rufe und Lockungen und reden mit Steinen, Tieren und
Pflanzen.
Der Hirschgott geht vermutlich auf die indoeuropäischen Skythen
zurück. Doch auch bei den Kelten finden wir einen Hirschgott, sein
Name ist Cernunnos. Er gehört zu den ältesten Gottheiten und geht
wahrscheinlich auf die steinzeitlichen Rentierjäger zurück.
Wie bereits erwähnt, steht der weiße Hirsch mit der Anderswelt in
Verbindung. Genauso wie der keltische Cernunnos, der in Beziehung
zu dem keltischen Samonios, Allerseelen, im Angesicht der
unvergänglichen, todlosen Seele zu betrachten ist.
Im Christentum lebte der weiße Hirsch dann als Hubertushirsch
weiter, doch die goldene Sonnenscheibe zwischen seinem Geweih
wurde durch ein Kreuz ersetzt. Von diesem Hintergrund aus
betrachtet, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der
Gedenktag von Hubertus der 3. November ist, dass ist genau die
Zeit von Samonios.
Neben dem mythischen weißen Hirschen gibt es auch in der Natur
immer wieder weiße Hirschen. Schon in mittelalterlichen Sagen war
von einem weißen Hirsch die Rede, und selbst heute noch gelten
diese Tiere als etwas Besonderes. Wer einen weißen Hirsch tötet,
stirbt innerhalb eines Jahres: Dieser Mythos unter Jägern rankt
sich um die außergewöhnlichen Tiere, die es im nordhessischen
Reinhardswald in vergleichsweise großer Zahl gibt. Der Mythos
wirkt so wie es aussieht bis heute nach: Laut dem zuständigen
Landkreis Kassel ist seit Jahren kein weißer Hirsch mehr
geschossen worden. Stattdessen seien sich Jäger und Naturschützer
einig, die weißen Tiere wegen ihrer Besonderheit zu erhalten.
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